Erwerbstätigkeit von Müttern in der Schweiz: Entwicklung und individuelle Faktoren

N°10, Oktober 2017
Francesco Giudici (Ufficio di statistica del Cantone Ticino) & Reto Schumacher (Statistique Vaud),

October 12, 2017
How to cite this article:

F. Giudici & R. Schumacher (2017). Erwerbstätigkeit von Müttern in der Schweiz: Entwicklung und individuelle Faktoren. Social Change in Switzerland, N° 10.
doi:10.22019/SC-2017-00006

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© the authors 2017. This work is licensed under a Creative Commons Attribution 4.0 International License (CC BY 4.0) Creative Commons License


Zusammenfassung

Seit 1980 hat sich die Erwerbsquote von Müttern mit Kindern im Vorschulalter fast verdreifacht. Trotz dieser ausgeprägten Veränderung zeigen sich auch heute noch starke regionale und soziodemographische Unterschiede in der Berufstätigkeit und Arbeitszeit junger Mütter. In diesem Beitrag analysieren wir die Entwicklung individueller Eigenschaften, welche die Arbeitsmarkt-beteiligung von Müttern begünstigt oder erschwert haben können. Dabei verwenden wir Daten aus den Volkszählungen von 1980, 1990 und 2000 und den Strukturerhebungen von 2010 bis 2014. Unsere Analyse zeigt eine anhaltend erhöhte wirtschaftliche Teilhabe von Müttern mit tertiärer Ausbildung und eine stärkere Zunahme der Erwerbsquote bei Müttern mit Schweizer Bürgerrecht. Ausserdem hat sich die Zahl der zu betreuenden Kinder im Lauf der Zeit ausgeprägter auf die Erwerbsbeteiligung von Müttern ausgewirkt.


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Der Artikel wurde vom statistischen Amt des Kantons Tessin auf Italienisch übersetzt.

Einleitung

In der Schweiz Mutter zu werden, kann starke Auswirkungen auf die berufliche Karriere haben. Während frischgebackene Väter mehrheitlich Vollzeit weiterarbeiten, unterbricht eine Mehrheit der Mütter ihre Berufslaufbahn oder verringert zumindest ihren Beschäftigungsgrad um das Kind zu betreuen (LeGoff und Levy, 2016; Giudici und Gauthier, 2009).

Das Verhalten von Müttern auf dem Arbeitsmarkt hängt von zahlreichen, auf unterschiedlichen Analyseebenen angesiedelten Faktoren ab. Ihre realen Möglichkeiten, eine Strategie zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit zu finden, werden bestimmt durch den institutionellen Kontext beeinflusst (z.B. in Bezug auf die Verfügbarkeit und die Kosten von Betreuungsstrukturen), doch sie hängen ebenfalls von ihren individuellen wirtschaftlichen und sozialen Ressourcen (wie dem Ausbildungsniveau der beiden Lebenspartner) ab.

Unsere Analyse verfolgt ein doppeltes Ziel. Erstens beschreiben wir die Entwicklung der Arbeitsmarktbeteiligung von Müttern während der letzten 40 Jahre, wobei wir uns mit der Gesamtschweiz und den Unterschieden zwischen den Kantonen beschäftigen. Zweitens untersuchen wir die Wirkung verschiedener individueller Faktoren (wie Ausbildungsniveau, Staatsangehörigkeit der Eltern oder auch Anzahl und Alter der Kinder) auf die berufliche Integration von Müttern im Lauf der Zeit. So kann man sich beispielsweise fragen, ob eine tertiäre Ausbildung eine die Erwerbstätigkeit von Müttern fördernde Ressource ist und ob sich ihre Wirkung im Lauf der Zeit verstärkt oder verringert hat, oder auch ob die Tatsache, sich um mehrere Kinder kümmern zu müssen, die Arbeitsmarktbeteiligung von Müttern schon immer behindert hat. So können wir zeigen, dass trotz der zunehmend stärkeren Präsenz von Müttern auf dem Arbeitsmarkt dieser Prozess bei weitem noch nicht alle Mütter erfasst. Während einige individuelle Merkmale und Ressourcen wie das Ausbildungsniveau der Lebenspartner wichtige Bestimmungsfaktoren der Arbeitsmarkt-beteiligung von Müttern waren und bleiben, haben andere, wie die Anzahl Kinder, im Lauf der Zeit sogar noch an Bedeutung gewonnen.

Mutterschaft, Arbeit und institutioneller Kontext

Gemäss einer kürzlich erschienenen Publikation des BFS (Hermann und Murier, 2016) ist der Anteil der erwerbstätigen Frauen zwischen 25 und 54 Jahren mit 82,2% einer der höchsten in Europa: nur Schweden weist ein höheres Niveau auf (83,3%). Bei Frauen, die Mutter mindestens eines Kinds unter 6 Jahren sind, liegt die Erwerbstätigenquote allerdings nur bei 70,2%. Im internationalen Vergleich rutscht die Schweiz damit in diesem Segment auf den 11. Rang ab (der Durchschnittswert der EU-28 liegt bei 63,4%). Zusätzlich dazu, dass sie eine niedrigere Erwerbsquote aufweisen als Frauen ohne Kinder, arbeiten Mütter zudem meistens Teilzeit: 82,7% der erwerbstätigen Mütter arbeiten nicht Vollzeit. Damit belegt die Schweiz in der Rangliste der teilzeitbeschäftigten Mütter den 2. Platz.

Warum also veranlasst in der Schweiz die Mutterschaft einen ansehnlichen Anteil der Frauen dazu, ihre Erwerbstätigkeit zu unterbrechen oder ihren Beschäftigungsgrad zu verringern? Neuere Publikationen verweisen auf eine ganze Reihe von institutionellen Faktoren, die zumindest zum Teil aus einer seit langem bestehenden liberalen Tradition der Nicht-Intervention des Staates in die Privatsphäre herrühren: Die Betreuung und Erziehung von Kindern wurden lange als allein zum Privatbereich gehörig betrachtet (Bonoli, 2007; Gani, 2016).

Unter den Faktoren, welche die berufliche Integration junger Mütter behindern, verweisen verschiedene Untersuchungen auf den Mangel an Betreuungsstrukturen für Kleinkinder und auch auf die im internationalen Vergleich zu hohen Kosten für die ausserfamiliäre Betreuung (Stern, Felfe und Schwab, 2014). Dieser Mangel führe bei einem Teil der Mütter dazu, namentlich denjenigen, die in einem Haushalt mit tiefem Einkommen leben, auf eine bezahlte Arbeit zu verzichten, um sich um die Kinder zu kümmern (Schmid, Kriesi und Buchmann, 2011; Giudici und Bruno, 2015). Ein anderer Faktor sei der markante Gegensatz zwischen dem 16-wöchigen Mutterschaftsurlaub einerseits und dem faktisch inexistenten Vaterschaftsurlaub andererseits, was von den ersten Wochen des Familienlebens an eine ungleiche Arbeitsteilung begünstige (Valarino, 2016). Die wirtschaftliche Teilhabe der Mütter wird über die progressive Besteuerung des Familieneinkommens zudem auch vom Steuersystem erschwert (Bütler und Ruesch, 2009). Rein finanziell betrachtet, kann es für eine Familie attraktiver sein, dass einer der Partner seinen Beschäftigungsgrad reduziert – oder sogar seine Erwerbstätigkeit aufgibt. Meistens ist es dabei die Frau, die ihr Arbeitspensum reduziert, unter anderem auf Grund ihres im Durchschnitt niedrigeren Einkommens.

Vorlieben oder Ressourcen?

Diese strukturellen Bedingungen könnten Familien dazu veranlassen, sich für eine traditionelle Arbeitsteilung zu entscheiden – die Frau trägt die Hauptlast der Hausarbeit und der Kinderbetreuung, während der Mann in einer Vollzeitstelle seine berufliche Laufbahn verfolgt. Ein Teil der Familien wünscht und plant eine solche Aufgabenteilung vor der Geburt des Kindes, während sie in anderen Fällen den Wünschen und (beruflichen und familiären) Ansprüchen der Partner zumindest vor der Geburt nicht entspricht. Aufgrund gewichtiger institutioneller Zwänge entscheide sich ein Teil der eine gleichberechtigtere Arbeitsteilung anstrebenden Paare (Bühlmann, Elcherot und Tettamanti, 2009) jedoch schliesslich für eine traditionellere Organisation. Der Wunsch eines Teils der Mütter, sich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren oder ihren Beschäftigungsgrad zu erhöhen, aber auch die Hindernisse, auf die sie dabei stossen, widerspiegeln sich in zwei Schlüsselindikatoren des Arbeitsmarktstatus. Im Vergleich zur Gesamtheit der Frauen im gebärfähigen Alter sind Mütter häufiger von Arbeitslosigkeit (5% gegenüber 4.4%) und von Unterbeschäftigung[1] (18% gegenüber 11.1%, Hermann und Murier 2016) betroffen.

In einem solchen Kontext können die individuellen Ressourcen bei der Entwicklung einer Strategie zur Vereinbarung von Familien- und Berufsleben eine entscheidende Rolle spielen. Die Bedeutung des Ausbildungsniveaus der Mütter für ihre berufliche Integration ist recht gut erforscht (Krone-Germann und de Chambrier, 2011). Eine höhere Ausbildung muss als eine individuelle Ressource interpretiert werden, die es einer Frau oder einem Paar ermöglicht, Familienleben und Berufstätigkeit besser miteinander vereinbaren zu können. Dabei zeigt sich, dass Frauen, die über eine tertiäre Ausbildung verfügen, besser in den Arbeitsmarkt integriert sind als Frauen mit einem tieferen Bildungsniveau. Sie haben ihre Kinder im Schnitt in einem höheren Alter, können in der Regel besser bezahlte Stellen antreten und scheinen bei der Aushandlung der Bedingungen für ihren Mutterschaftsurlaub und den Wiederantritt der Stelle über grössere Spielräume zu verfügen. Da sie im Schnitt besser bezahlt sind, können sie auch leichter eine Betreuungslösung für ihre Kinder finanzieren[2].

Eine höhere Ausbildung des Ehemanns oder Lebenspartners kann ebenfalls als eine Ressource betrachtet werden, die allerdings auch in Konkurrenz mit derjenigen der Partnerin stehen könnte. Weiter lässt sich die Hypothese aufstellen, dass die Bedeutung dieser Ressource im gleichen Mass abnimmt, wie das Angebot an institutionellen Betreuungslösungen zunimmt.

Die Erwerbsneigung ist zudem direkt und im umgekehrten Verhältnis mit der Anzahl der zu betreuenden Kinder verbunden (Cohany und Sok, 2007), da sich mit ihrer Anzahl auch der organisatorische Aufwand und der Preis für ihre Betreuung erhöht (Bütler, 2006). Dieser offensichtliche und direkte Zusammenhang kann allerdings auch vom institutionellen Kontext abhängen, in diesem Fall vom Tarifsystem der Betreuungsstrukturen (Bestehen und Höhe von Geschwisterrabatten).

Der Zivilstand der Partner kann ein Indikator für die Rolle und die relative Macht (empowerment) der Frau in einem Paar sein. Tatsächlich sind Mütter, die in einer Konsensualpartnerschaft leben, beruflich besser integriert als verheiratete Mütter (Algava, 2005). Dies kann aus der Tatsache erklärt werden, dass der Wunsch der Partner nach Autonomie in Westeuropa einer der wichtigsten Gründe für eine Nicht-Heirat darstellt (Hiekel et al, 2014). Geht man davon aus, dass die Gleichberechtigung zwischen den Ehepartnern zunimmt, lässt sich die Hypothese aufstellen, dass die Bedeutung dieses Faktors im Lauf der Zeit abnimmt.

Was schliesslich die Staatsangehörigkeit der Ehepartner betrifft, so schlägt sich diese nur indirekt in der Berufstätigkeit der Mütter nieder. Sie korreliert vermutlich mit anderen Variablen, wie den bezüglich Familie und Arbeit bestehenden Vorlieben und Haltungen, aber auch der Verfügbarkeit eines Netzwerks aus Grosseltern oder anderen Verwandten und Freunden, welche im Bedarfsfall Unterstützung bieten und beiden Eltern die Fortsetzung einer Berufstätigkeit ermöglichen können. So waren in der Schweiz der Nachkriegszeit Ausländerinnen häufiger erwerbstätig als Schweizerinnen. Voegeli (1997) stellte die Hypothese auf, dass das starke Wirtschaftswachstum der Trente Glorieuses und die anhaltende Einwanderung ausländischer Arbeiter es vielen schweizerischen Männern erlaubte, in höher bezahlte Stellen zu gelangen. Diese Entwicklung habe es schweizerischen Frauen aus den Mittelschichten ermöglicht, sich aus dem Arbeitsmarkt zurückzuziehen und möglicherweise zum ersten Mal in der Geschichte des Landes, gemäss dem bürgerlichen Familienmodell zu leben.

Daten und Methoden

Die hier analysierten Daten stammen aus den Volkszählungen von 1980, 1990 und 2000 sowie aus den Strukturerhebungen (SE) für die Periode 2010-2014. Während die Volkszählungen Vollerhebungen sind, beruht die Strukturerhebung auf der jährlichen Befragung einer Stichprobe von mindestens 200’000 Personen und Haushalten, welche die von den Einwohnerregistern zur Verfügung gestellten Informationen ergänzen. Wir haben die zusammengelegten («gepoolten») Daten der fünf ersten Jahre der SE (2010 bis 2014) verwendet. Damit verfügen wir über eine genügend grosse Stichprobe, um mehrere Variablen kombinierende Analysen durchzuführen.

Die statistische Analyse ist auf in einer Paarbeziehung lebende Mütter mit Kindern von 0 bis 3 Jahren (vollendetes Altersjahr) beschränkt. Da die Einschulung in den 15 dem HarmoS-Konkordat angehörenden Kantonen mit dem vollendeten 4. Altersjahr (Stichtag 31. Juli) erfolgt und in den übrigen Kantonen gleichzeitig oder später, handelt es sich dabei ausschliesslich um Mütter mit Kindern im Vorschulalter. Mit diesen beiden Auswahlkriterien (Leben in einer Paarbeziehung und Alter des Kinds) umfasst die Analyse 230’000 Haushalte für das Jahr 1990, 216’000 für 2000 und 95’000 für den Zeitraum 2010-2014.  Letztere können in Anbetracht ihres statistischen Gewichts als repräsentativ für die in der Periode 2010-2014 ungefähr 250’000 Paare mit einem oder mehreren Kindern zwischen 0 und 3 Jahren in der Gesamtbevölkerung gelten.

Die Arbeitsmarktbeteiligung der Mütter wird mithilfe von zwei Indikatoren gemessen: Die generelle Erwerbsquote von Müttern und der Anteil der 50% oder mehr beschäftigten Mütter. Neben diesen beiden zu erklärenden Variablen berücksichtigen wir vier Hauptfaktoren: Anzahl Kinder zwischen 0 und 9 Jahren (davon mindestens eines von 0 bis 3 Jahren), Bildungsniveau der Ehegatten oder Lebenspartner, deren Nationalität und der Zivilstand des Paares (verheiratet oder nicht). Das Alter der Mutter, der Altersunterschied zwischen den Ehegatten oder Lebenspartnern und der Beschäftigungsgrad des Partners dienen als Kontrollvariablen[3].

Im 1980 war eine Mehrheit der Mütter nicht erwerbstätig

In den letzten Jahrzehnten stieg der Anteil der eine Berufstätigkeit ausübenden Mütter in der Schweiz stark an. Waren 1980 noch drei Viertel der in einer Paarbeziehung lebenden Mütter mit mindestens einem Kind im Vorschulalter nicht berufstätig (Erwerbstätigenquote von 23%), so hat sich das Verhältnis seither fast umgekehrt: 2010-2014 erklärten 64,3% der Mütter in dieser Kategorie, erwerbstätig zu sein, was einer Zunahme von 40 Prozentpunkten im Vergleich zu 1980 entspricht. Zu einer starken Zunahme kam es zwischen 1990 und 2000. In dieser Periode überstieg der Anteil erwerbstätiger Mütter 50%. Der bezahlte Mutterschaftsurlaub wurde auf Bundesebene am 1. Juli 2005 eingeführt. Selbst wenn der Mutterschaftsurlaub bereits vorher in zahlreichen Gesamtarbeitsverträgen verankert war, veränderte dieses Gesetz dennoch den institutionellen Kontext der Erwerbsarbeit von Müttern.

Fig1_d

Grafik 1 zeigt für jeden Kanton die Erwerbsquote von Müttern im Jahr 1980 (in schwarz) und ihre Zunahme während der drei letzten Jahrzehnte: Die Zunahme zwischen 1980 und 1990 ist weiss angegeben, diejenige zwischen 1990 und 2000 in grau und diejenige seit dem Jahr 2000 in hellgrau: das Total entspricht der Situation 2010-14. Ein Vergleich der Kantone zeigt einerseits, dass über den ganzen Zeitraum starke interregionale Unterschiede weiterbestanden und andererseits die Zunahme in einem sehr unregelmässigen Rhythmus vor sich ging. 1980 bewegte sich die Erwerbsquote von Müttern zwischen 15% (Uri) und 38% (Glarus), während sie 2010-2014 zwischen 53% im Tessin (+/- 1,2%) und 73% im Kanton Jura (+/- 2,5%)[4] variierte. Ein Teil der Kantone weist nach wie vor tiefe Anteile auf (Tessin, Uri, Nidwalden, Graubünden, Schwyz, Zug), während sich in anderen, namentlich den französischsprachigen Kantonen, seit Anfang der untersuchten Periode jeweils die höchsten Anteile von erwerbstätigen Müttern fanden. Die stärkste Zunahme liess sich im Kanton Wallis feststellen, der 1980 noch eine der tiefsten Quoten aufwies (mit 18% erwerbstätigen Müttern). Diese stieg bis 2010-2014 auf 69% an, womit der Kanton nun auf dem 5. Rang liegt. In anderen Kantonen kam es zu einem weniger deutlichen Anstieg, so zum Beispiel in Glarus, wo die Erwerbstätigkeit vom damals höchsten Anteil im Jahr 1980 (38%) auf 64% in den Jahren 2010-2014 anstieg.

Erwerbstätigkeit von Müttern : Entwicklung individueller Faktoren

Wie wirken sich individuelle Faktoren auf die Berufstätigkeit von Müttern in der Schweiz aus und wie veränderten sich diese im Laufe der Zeit? Wir interessieren uns hier für vier Faktoren, die einen bedeutenden Einfluss auf die Arbeitsmarktbeteiligung von Müttern haben können: die Anzahl Kinder, das Ausbildungsniveau der Lebenspartner, ihre Nationalität und ihr Zivilstand. Die folgenden Grafiken zeigen den Anteil der erwerbstätigen Mütter sowie den Anteil der mindestens 50% erwerbstätigen Mütter in Form modellierter Wahrscheinlichkeiten für ein durchschnittliches Profil, wobei jeweils die Wirkung dieser vier Faktoren sowie der drei Kontrollvariablen berücksichtigt wird[5].

Je mehr Kinder eine Mutter hat, desto weniger arbeitet sie

2010-2014 steht die Erwerbsneigung von Müttern in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Anzahl der betreuten Kinder: Je mehr Kinder eine Mutter hat, desto weniger tendiert sie zur Erwerbsarbeit [Grafik 2]. Beim Übergang vom ersten zum zweiten Kind nimmt die Wahrscheinlichkeit ab, dass eine Mutter erwerbstätig ist. Bei einem durchschnittlichen Profil und unter Berücksichtigung anderer Faktoren beträgt diese Abnahme 7 Prozentpunkte, bei einem dritten Kind weitere 12 Prozentpunkte. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Mutter mit vier Kindern unter 10 Jahren erwerbstätig ist, liegt sogar um 30 Prozentpunkte tiefer als bei einer Mutter mit nur einem Kind. Im Jahr 2000 war dieses Gefälle weniger ausgeprägt aber doch schon deutlich sichtbar, dagegen bestand es 1990 noch nicht. Für den damaligen Zeitraum stellt man einen Unterschied zwischen Müttern mit einem Kind und solchen mit zwei oder mehreren Kindern fest, wobei bei letzteren die Wahrscheinlichkeit erwerbstätig zu sein, um 6 bis 10 Punkte niedriger ist. Für Mütter einer kinderreichen Familie ist es also schwierig einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen, und das gilt heute noch mehr als in der Vergangenheit. Diese Entwicklung erklärt sich wahrscheinlich aus der zunehmenden Inanspruchnahme institutionalisierter Betreuungsangebote wie Kinderkrippen und Tagesmütter, deren Kosten mit jedem Kind ansteigen. Es ist wahrscheinlich, dass 1990 ein bedeutender Teil der erwerbstätigen Mütter auf private oder informelle Betreuungsangebote, wie Grosseltern oder Nanny zurückgreifen konnte.

Was den Anteil der Mütter, die 50% oder mehr arbeiten betrifft, so unterliegt dieser noch stärker diesem Gefälle. Die Neigung, 50% oder mehr zu arbeiten beträgt unter den Müttern mit 4 oder mehr Kindern nur 36% des entsprechenden Werts bei den Müttern mit einem Kind.

Fig2_d

Mütter mit einer tertiären Ausbildung sind häufiger erwerbstätig

Das Ausbildungsniveau der beiden Ehegatten oder Lebenspartner beeinflusst die Erwerbsneigung von Müttern: Über eine tertiäre Ausbildung verfügende Mütter haben höhere Chancen erwerbstätig zu sein als solche ohne Ausbildung auf dieser Stufe [Grafik 3]. Die Erwerbsneigung von Müttern mit einem tertiären Bildungsabschluss lag 2010-2014 bei einem durchschnittlichen Profil zwischen 7 und 16 Prozentpunkten höher als der entsprechende Wert für Mütter ohne tertiäre Ausbildung, wobei die Stärke dieses Unterschieds davon abhängt, ob der Partner ebenfalls Hochschulabsolvent ist. Diese Unterschiede zeigen sich beim Anteil der 50% oder mehr beschäftigten Mütter noch eindeutiger (zwischen 13 und 25 Prozentpunkten). Während das Muster dieser Unterschiede im Lauf der Periode 1990-2010/14 stabil blieb, haben sich die absoluten und relativen Abstände für die Gesamtheit der erwerbstätigen Mütter verringert, bei den 50% oder mehr beschäftigten Mütter dagegen vergrössert.

Mit anderen Worten stellt eine höhere Ausbildung immer noch einen die berufliche Integration fördernden Faktor dar, ihre Rolle hat aber gegenüber der Vergangenheit an Bedeutung verloren. Hingegen scheint die benachteiligende Wirkung eines fehlenden Hochschulabschlusses bei Müttern, die mit einem über einen solchen Abschluss verfügenden Mann zusammenleben (die zweifellos mit dem Lohnunterschied zwischen den Partnern zusammenhängt), seit 1990 an Bedeutung gewonnen zu haben. Die Zunahme dieses Effekts kann ebenfalls mit der wachsenden Inanspruchnahme institutioneller Betreuungslösungen erklärt werden, deren Kosten innerhalb eines Paares den Zusatznutzen des (niedrigeren) Lohns der Frau ohne Tertiärbildung in Frage stellen.

Fig3_d

Schweizerinnen arbeiten häufiger

2010-2014 sind Mütter mit schweizerischer Staatsangehörigkeit häufiger erwerbstätig als ausländische Mütter: die Erwerbsneigung von Schweizerinnen liegt zwischen 15 und 22 Punkten höher als diejenige von Ausländerinnen, wobei die Stärke des Unterschieds davon abhängt, ob ihr Ehemann oder Lebenspartner ebenfalls Schweizer Bürger ist [Grafik 4]. Bei den 50% und mehr beschäftigen Müttern ist dieser Unterschied aber weniger stark ausgeprägt. Tatsächlich hängt die Wahrscheinlichkeit halbtags oder mehr zu arbeiten in erster Linie von der Nationalität des Partners ab: sie liegt bei den mit einem Ausländer zusammenlebenden Müttern höher.

Fig4_d

Obschon die Nationalität des Ehemanns oder Lebenspartners die Erwerbsneigung der Frauen 2010-14 gleichartig beeinflusst wie schon 2000, stellt man einen grundlegenden Unterschied mit der 1990 bestehenden Situation fest. Damals zeigte sich bei der Erwerbsneigung ein Gefälle nach der «Swissness», das von den ausländischen Paaren (unter denen die Mütter am häufigsten arbeiteten) über die gemischten Paare bis zu den schweizerischen Paaren reichte, bei denen Frauen verhältnismässig am seltensten arbeiteten. Überdies hat sich unter den ausländischen, mit einem Ausländer zusammenlebenden Müttern die Neigung, 50% oder mehr beschäftigt zu sein zwischen 1990 und 2010-2014 unter sonst gleichbleibenden Umständen nicht verändert, während sie sich unter den schweizerischen, mit einem Schweizer zusammenlebenden Müttern mehr als verdreifacht hat. Wie lässt sich die auffallende Entwicklung dieses Unterschieds erklären? Obschon es möglich ist, dass eine veränderte Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung nach Nationalitäten dabei eine Rolle gespielt hat, kann man darin auch das Ende des bürgerlichen Familienmodells bei den schweizerischen Paaren sehen (Voegeli, 1997).

Geringere Erwerbsneigung verheirateter Mütter

In einer Konsensualpartnerschaft lebende Mütter arbeiten häufiger als verheiratete Mütter. Hier handelt es sich um einen seit 1990 feststellbaren Unterschied, der auch den Anteil der 50% oder mehr arbeitenden Frauen prägt [Grafik 5]. Sein Umfang scheint allerdings im Lauf der Zeit abzunehmen. Während der relative Unterschied 1990 noch mehr als 50% betrug, lag er 2000 noch bei 16% und fiel 2010-2014 unter 10%. Die Verringerung dieses Abstands scheint die logische Folge der Zunahme der Erwerbsquote von Müttern mit Kindern im Vorschulalter zu sein, eine Zunahme, die sich ihrerseits aus der stärkeren Gleichberechtigung der Ehepartner erklären dürfte. Diese Verringerung könnte sich zudem aus der grösseren Verbreitung der Konsensualpartnerschaft erklären. Unverheiratete Paare mit Kindern sind heute nicht mehr eine kleine Minderheit (3% im Jahr 1990), die ein mit besonderen Wertvorstellungen und Verhaltensweisen verbundenes alternatives Familienmodell praktizieren. Vielmehr handelt es sich heute um eine weiter verbreitete Lebensform (12% im Zeitraum 2010-2014), die mit Wertvorstellungen und Verhaltensweisen einhergeht, die sich denjenigen der Mehrheit angenähert haben dürften.

Fig5_d

Schlussfolgerungen

Diese Untersuchung zeigt klar, dass in der Schweiz individuelle und haushaltsspezifische Merkmale die Erwerbsneigung von Müttern mit Kindern im Vorschulalter beeinflussen. So sind 2010-2014 Mütter mit Schweizer Bürgerrecht häufiger erwerbstätig als Ausländerinnen und auf Tertiärstufe ausgebildete Mütter sind besser in den Arbeitsmarkt integriert als Mütter ohne Hochschulabschluss. Die berufliche Integration von Müttern nimmt überdies mit zunehmender Anzahl der zu betreuenden Kinder ab und ist bei den verheirateten Frauen niedriger als bei den in Konsensualpartnerschaft lebenden.

Unsere Analysen zeigen zudem, dass sich die Wirkung bestimmter Faktoren im Lauf der Zeit verändert hat: Wenn das Schweizer Bürgerrecht heute die wirtschaftliche Teilhabe von Müttern begünstigt, so ging es 1990 noch mit einer geringeren Erwerbsneigung einher. Die Wirkung der Anzahl Kinder unter 10 Jahren hat sich im Lauf der Zeit ebenfalls verändert: Die Erwerbswahrscheinlichkeit ist heute umgekehrt proportional zur Anzahl Kinder. 1990 nahm sie dagegen bei mehr als zwei Kindern nicht mehr ab. Dabei handelt es sich um das vielleicht überraschendste Ergebnis der Analysen. Es erklärt sich wahrscheinlich aus der zunehmenden Inanspruchnahme institutioneller Betreuungslösungen, deren Kosten mit jedem Kind zunehmen.

Bedeutsam ist auch, dass sich ein Weiterbestehen oder sogar eine Verschärfung bestimmter individueller Unterscheidungsmerkmale in der beruflichen Integration von Müttern mit Kindern im Vorschulalter feststellen lässt. Wenn diese Unterschiede gewiss auch Unterschiede in den Vorlieben und Haltungen widerspiegeln, so zeigen sie doch, dass für junge Mütter die Ungleichheiten in Bezug auf den Zugang zum Arbeitsmarkt noch bei Weitem nicht behoben sind. Eine Berücksichtigung kontextueller Faktoren, wie der Verfügbarkeit und der Kosten von Betreuungsstrukturen und des Steuerwesens würde eine verfeinerte Analyse der Ungleichheiten im Zugang zur bezahlten Arbeit ermöglichen. Da bei diesen Faktoren erhebliche Unterschiede zwischen den Kantonen und sogar den Gemeinden bestehen, wäre die Schweiz ein besonders interessantes Forschungsfeld.

 

[1] Gemäss der Definition des BFS, handelt es sich dabei um teilzeitbeschäftigte Individuen, die mehr arbeiten möchten und bereit wären, ihre Arbeitszeit innerhalb der drei auf die Befragung folgenden Monate zu erhöhen.

[2] Die Wirkung dieser individuellen Ressourcen dürfte zudem je nach institutionellem Kontext variieren: Falls Betreuungsstrukturen von der öffentlichen Hand nur wenig subventioniert werden und ihre Tarife unabhängig vom Einkommen der Eltern festlegen, so wirkt sich das Ausbildungsniveau und infolgedessen das Lohnniveau stärker auf die Bereitschaft der Frauen zu einer Berufstätigkeit aus.

[3] Die Wirkung individueller Faktoren auf die Berufstätigkeit von Müttern mit Kindern im Vorschulalter wird mittels logistischen Regressionsmodellen für die Jahre 1990, 2000 und 2010/14 analysiert. Wo wir diese auf die Daten der Periode 2010-2014 anwenden, haben wir den Stichprobenplan der Strukturerhebung, die Definition der Schichten und die Gewichtung der Haushalte berücksichtigt.

[4] Es ist wichtig, hier das Konfidenzintervall (KI) – das heisst die untere und obere Grenze unserer Schätzungen – zu berücksichtigen, das namentlich in den kleineren Kantonen einen nicht vernachlässigbaren Umfang annehmen kann.

[5] Streng genommen handelt es sich um ein Modalprofil: Eine verheiratete Schweizerin im Alter von 30 bis 34 Jahren deren Mann höchstens vier Jahre älter ist als sie, selbst Schweizer ist, keine tertiäre Ausbildung hat und Vollzeit arbeitet. Die Diagramme zeigen also Wirkungen «unter sonst gleichbleibenden Umständen» welche sich von den Bruttoverteilungen unterscheiden können.

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