Der Einfluss von Familien- und Berufsverläufen auf das Wohlbefinden von Frauen und Männern in der Schweiz

N°29, Mai 2022
Chiara L. Comolli (Universität Bologna), Laura Bernardi (Universität Lausanne) & Marieke Voorpostel (FORS),

May 30, 2022
How to cite this article:

Comolli, C.L., Bernardi, L. & Voorpostel, M. (2022). Der Einfluss von Familien- und Berufsverläufen auf das Wohlbefinden von Frauen und Männern in der Schweiz. Social Change in Switzerland, N°29. doi: 10.22019/SC-2022-00002

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Zusammenfassung

Die familiären und beruflichen Lebensverläufe in der Schweiz sind von einer immer grösseren Vielfalt geprägt, geschlechtsspezifische Unterschiede bleiben jedoch bestehen. Basierend auf den Daten des Schweizer Haushalt-Panels (SHP) kehren Frauen der Jahrgänge 1952 bis 1966 nach dem Übergang zur Elternschaft meistens in Teilzeit an den Arbeitsmarkt zurück, wobei ihre Lebenszufriedenheit verglichen mit anderen Lebensverläufen geringer ausfällt. Eine Minderheit der Frauen ist durchgehend in Vollzeit beschäftigt und verfolgt eine traditionelle familiäre Laufbahn – feste eheliche Beziehung mit Kindern. Diese Gruppe geniesst nach dem Erreichen des 50. Lebensjahrs ein höheres subjektives und finanzielles Wohlbefinden. Die beruflichen Laufbahnen von Männern unterliegen deutlich weniger Variationen als jene der Frauen.


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Einleitung

In den europäischen Gesellschaften, einschliesslich der Schweiz, sind in den letzten Jahrzehnten die Anzahl von Paaren mit doppeltem Einkommen (Männer und Frauen, die beide einer Erwerbstätigkeit nachgehen) und auch die Anforderungen an die elterlichen und beruflichen Rollen in die Höhe geschnellt. Die familiären und beruflichen Laufbahnen von Männern und Frauen sind komplexer geworden und greifen stärker als je zuvor ineinander über (Diewald et al., 2006).

Familiäre und berufliche Erfahrungen sind für das Wohlbefinden entscheidend (McDonough et al., 2015), und bestimmte Arten und Entwicklungen von Laufbahnen verringern oder fördern das Wohlbefinden im Alter. In unserer Studie untersuchen wir, inwieweit die familiären und beruflichen Laufbahnen von Beginn bis zur Mitte des Erwachsenenalters Auswirkungen auf das subjektive Wohlbefinden haben. Es wird ein geschlechtsspezifischer Vergleich angestellt, da Männer und Frauen in der Schweiz wie in anderen westlichen Ländern oft unterschiedliche Verläufe verweisen und für Frauen die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben schwerer zu realisieren ist (Keizer et al., 2010). In der Schweiz lastet der Grossteil der Hausarbeit auf den Frauen: Sie erledigen im Schnitt 64 % der anfallenden Aufgaben, womit ihr Anteil geringfügig unter dem in südlichen Ländern Europas (Italien 70,1 %, Spanien 66,5 %) beobachteten Anteil und leicht über dem andernorts in Westeuropa (Frankreich 62 %, Deutschland 61 %) gemessenen Prozentwert liegt (OECD, 2020).

Obgleich die Teilnahme von Frauen am Arbeitsmarkt im internationalen Vergleich insgesamt auf hohem Niveau liegt (82,8 % in der Schweiz vs. 71,1 % in der EU), sind ihre beruflichen Laufbahnen weniger konstant und ihre Erwerbstätigenquote geringer als die von Männern. Vor allem Mütter, die grösstenteils einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen, haben weniger berufliche Aufstiegsmöglichkeiten und mehr Unterbrechungen in ihrem Arbeitsleben. Im Jahr 2019 betrug die Erwerbsquote in Teilzeit bei Schweizer Frauen 61,7 % (EU: 29,9 %). Dagegen gingen nur 17,1 % der erwerbstätigen Schweizer Männer einer Teilzeitarbeit nach (EU: 8,4 %, Eurostat, 2020). Im geschlechtsspezifischen Vergleich sind Frauen zudem tendenziell häufiger von Arbeitslosigkeit bedroht (2018: 5,1 % vs. 4,3 % für Männer) oder zumindest über einen Teil ihres Lebensverlaufs wirtschaftlich inaktiv (19,8 % der Schweizer Frauen der Altersgruppe 15-64 Jahren waren 2019 inaktiv gegenüber 11,7 % der Schweizer Männer). Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass sich diese Unterschiede über die letzten Jahrzehnte erheblich verringert haben.

In früheren Studien wurden die geschlechtsbezogenen Ungleichheiten in der Schweiz hinsichtlich der beruflichen und familiären Verläufe unter dem Gesichtspunkt des Lebensverlaufs untersucht. Levy, Gauthier und Widmer (2006) zufolge vollziehen sich die Laufbahnen von Männern deutlich konstanter und homogener als die von Frauen. Kürzlich konnte Levy (2018) aufzeigen, dass die Lebensverläufe in der Schweiz weiterhin stark geschlechtsspezifisch geprägt sind, insbesondere beim Übergang zur Elternschaft. Diese Re-Traditionalisierung vollzieht sich unter dem Einfluss der Sozialpolitik und der institutionellen Rahmenbedingungen. Andere Studien belegen, dass die Auswirkungen, die sich aus der akzeptierten ungleichen Verteilung der beruflichen und häuslichen Aufgaben ergeben, langfristig akkumuliert werden, was wiederum die Entstehung wirtschaftlicher Einbussen und den Mangel an Anerkennung von Frauen in der Schweizer Gesellschaft fördert (Giudici & Gauthier, 2009).

Im Rahmen unserer Studie stützen wir uns auf die über mehrere Jahrzehnte hinweg erhobenen Daten des Schweizer Haushalt-Panels (SHP), anhand derer wir den gesamten Lebensverlauf der Befragten nachverfolgen und kritische familiäre Ereignisse identifizieren können. Zu diesen Ereignissen gehören unter anderem: Die Elternschaft und Veränderungen in der Paarbeziehung wie Trennung, Scheidung und das Eingehen einer neuen Partnerschaft; kritische berufliche Übergangsphasen wie die von Ausbildung zum Berufsleben und die berufsbezogenen Übergangsphasen, wobei zwischen Voll- und Teilzeit unterschieden wird. Die vorstehend genannten Studien berücksichtigen lediglich die Daten des SHP aus dem Jahr 2002. Die Berücksichtigung aktuellerer Daten ermöglicht uns, die Lebensverläufe älterer Geburtskohorten der Jahrgänge 1952 bis 1982 (mithilfe retrospektiver Daten von 2002) und auch die der neuen Kohorten der Jahrgänge 1983 bis 1993 (basierend auf Daten von 2013) abzudecken. Unser Hauptaugenmerk gilt dabei dem Zeitraum, in dem die Befragten zwischen 20 und 50 Jahre alt waren. Zur Erfassung des Wohlbefindens bewerten wir die Lebenszufriedenheit, die Zufriedenheit mit den sozialen Beziehungen und die Zufriedenheit mit der wirtschaftlichen Situation von Schweizern nach Erreichung des 50. Lebensjahres. Unter Bezugnahme der wichtigsten familiären und beruflichen Erfahrungen werden die Laufbahnen der Befragten (rund 1’000 Frauen und 800 Männer) dargestellt und wie sich diese auf ihr Wohlbefinden nach dem Erreichen des 50. Lebensjahrs auswirken (Geburtskohorten 1952-1966).

Der Einfluss von familiären und beruflichen Laufbahnen auf das Wohlbefinden

Frühere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass konstante familiäre und berufliche Laufbahnen das subjektive Wohlbefinden steigern (Cabib & Fasang, 2016; McDonough et al., 2016). Feste und langwährende Paarbeziehungen geben emotionalen Halt, fördern soziale Bindungen und wirken sich positiv auf die finanzielle und materielle Situation aus. Sie werden mit einer grösseren Lebenszufriedenheit und geringerer Alterseinsamkeit in Verbindung gebracht (Peters & Liefbroer, 1997; Thomson et al., 2001).

Die Integration in den Arbeitsmarkt bietet ebenfalls Möglichkeiten zur sozialen Vernetzung, die dem Wohlbefinden aufgrund von weiteren sozialen Beziehungen, finanziellen Ressourcen sowie potenzieller Anerkennung und der persönlichen Weiterentwicklung, förderlich ist. Gegenüber einem Übergang in die Pension nach Erwerbslosigkeit oder einem Werdegang mit Phasen der Arbeitslosigkeit wird das Wohlbefinden im Pensionsalter als höher empfunden, wenn die berufliche Laufbahn bis zum Rentenalter von vollzeitlicher Erwerbstätigkeit (90-100 %) gekennzeichnet war.

Von Instabilität geprägte Laufbahnen werden mit einem geringeren Niveau des Wohlbefindens in Zusammenhang gebracht. Ein Lebensverlauf, in dem eine oder mehrere Trennungen und Scheidungen bzw. Phasen ohne feste Paarbeziehung oder Kinderlosigkeit eingetreten sind, geht tendenziell mit einem geringeren Wohlbefinden einher (Halper-Manners et al., 2015). Hinzu kommt, dass Arbeitslosigkeit Lebenszufriedenheit mindert (Oesch & Lipps, 2013) und das Wohlbefinden auch indirekt in späteren Phasen beeinträchtigt. Die Ansammlung von Vermögen und die Dauer der Betriebszugehörigkeit werden von Arbeitslosigkeit nachteilig beeinflusst und wirken sich auf die Beschäftigungsaussichten aus, den Gesundheitszustand und die Chancen eine neue Paarbeziehung einzugehen.

Lange Phasen der Teilzeitbeschäftigung verringern das subjektive Wohlbefinden, es sei denn, die Teilzeitarbeit wird freiwillig ausgeübt, um familiäre und berufliche Verpflichtungen zu vereinbaren. (Ponomarenko, 2016). Der vorzeitige Eintritt in den Ruhestand, die Selbstständigkeit sowie atypische Arbeitsformen (befristete Arbeitsverträge; Ausbildung) werden ebenfalls mit einem geringeren subjektiven Wohlbefinden in Zusammenhang gebracht (Falkingham et al., 2020).

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die steigende Komplexität der Lebensverläufe sich negativ auf das Wohlbefinden auswirken kann. Für Frauen könnten diese negativen Folgen von noch grösserer Tragweite sein als für Männer. Während die Verläufe von Paarbeziehungen sowohl für Männer als auch für Frauen komplexer geworden sind, bestehen geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Wohlbefinden: Insgesamt profitieren Männer mehr als Frauen von einer festen Paarbeziehung. Längere Phasen des Alleinlebens beeinträchtigt das allgemeine und soziale Wohlbefinden von Männern stärker. Instabile Paarbeziehungen haben hingegen stärkere negative Folgen für das Wohlbefinden von Frauen und ihr Einsamkeitsempfinden als für Männer (Demey et al., 2014).

Während die beruflichen Laufbahnen von Männern aus allen Geburtskohorten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts relativ konstant und linear waren, sind die beruflichen Laufbahnen von Frauen sehr viel diversifizierter geworden (Widmer & Ritschard, 2009). Im geschlechtsspezifischen Vergleich sind Frauen daher vermehrt der Gefahr von finanzieller Unsicherheit, instabilen Beschäftigungsverhältnissen, geringeren Verdienstmöglichkeiten und Aufstiegschancen ausgesetzt.

Familiäre und berufliche Laufbahnen in der Schweiz

Wir stützen unsere Untersuchung auf zwei biografische Module des SHP von 2002 und 2013, die retrospektive Angaben zu den familiären und beruflichen Laufbahnen der Befragten enthalten. Ausgewählt wurden Befragte, die einen vollständigen Verlauf für das Alter von 20 bis 50 Jahren bereitstellen und mindestens an einer Befragungswelle nach der Erhebung biografischer Daten (2003-2006 und 2014-2017) teilgenommen haben. Ihr Wohlbefinden wird im Lebensalter zwischen 51 und 70 Jahren erfasst. Nach dem Ausschluss fehlender Daten von Kontrollvariablen, umfasst unsere endgültige Stichprobe 880 Männer und 1’005 Frauen der Jahrgänge 1952 bis 1966.

In den Abbildungen 1 und 2 werden die familiären und beruflichen Laufbahnen von Männern und Frauen in der Schweiz dargestellt. Die Einteilung in Gruppen erfolgt unter Anwendung der (für die genomische Analyse entwickelten) Methode der Sequenzanalyse, die einen Vergleich der Laufbahnen miteinander und die nachfolgende Identifizierung von Sequenztypen mit ähnlichem Profil ermöglicht. In den Abbildungen werden die so ermittelten Sequenztypen der Verläufe von Männern und Frauen dargestellt. Die Spalten in diesen Histogrammen entsprechen jeweils einem Lebensjahr zwischen 20 und 50 Jahren (horizontale Achse) und zeigen die Verteilung der Schweizer Beschäftigungsverhältnisse und Familienereignisse an, die berücksichtigt wurden (vertikale Achse). In jeder Abbildung wird somit die familiäre und berufliche Laufbahn veranschaulicht.

Für Männer konnten drei Gruppen familiärer Laufbahnen (siehe Abbildung 1) identifiziert werden. Etwa die Hälfte von ihnen weisen eine traditionelle familiäre Laufbahn vor, die sich durch einen relativ frühzeitigen Übergang in eine Paarbeziehung und eine frühe Vaterschaft im Alter von 20 bis 25 Jahren kennzeichnet. Ein Drittel der Männer fällt in die Gruppe „Verspätet traditionell“, da sich diese Übergänge bei ihnen etwas später im Alter von rund 30 Jahren vollziehen. Die Mehrheit der Männer dieser beiden Gruppen befindet sich nach dem 30. Lebensjahr in einer Paarbeziehung mit Kindern. Die letzte Gruppe umfasst Männer, die im Alter zwischen 20 und 50 Jahren überwiegend kinderlos bleiben.

Die familiären Gruppen der Frauen und der Männer unterscheiden sich zunächst dahingehend, dass Frauen in einem früheren Lebensalter eine Familie gründen. Die grösste Gruppe bilden mit 47 % Frauen ab dem Alter von 20 Jahren („Frühzeitig traditionell“), die mehrheitlich in einer Paarbeziehung leben und von denen einige Kinder haben. Mehr als die Hälfte der Frauen dieser Gruppe vollzieht bis zur Mitte des 20. Lebensjahrs den Übergang in die Elternschaft. Die zweite Gruppe („Traditionell“), der ungefähr 43 % der Frauen zuzurechnen sind, kennzeichnet derselbe traditionelle Übergang in eine Paarbeziehung und in die Mutterschaft. Die Übergangsphasen setzten jedoch etwas später ein, da diese Frauen erst mit Ende zwanzig Mutter werden. Ferner ist anzumerken, dass die beiden Gruppen Trennungen und neue Partnerschaften der Frauen der letzten zehn Jahre des berücksichtigten Lebensverlaufs umfassen, d. h. im Alter zwischen 40 und 50 Jahren, während diese bei Männern weniger beobachtet werden. Das geringe Auftreten dieser Ereignisse führte dazu, dass diesbezüglich keine gesonderte Gruppe gebildet werden konnte. Die dritte Gruppe, die 10 % der Frauen („Ohne Kinder“) umfasst, ist in jedem Lebensalter vorwiegend von Partnerlosigkeit geprägt (siehe Abbildung 1). Folglich besteht der zweite Unterschied zwischen Männern und Frauen in der Schweiz bezogen auf die typischen familiären Verläufe darin, dass die Gruppe der Männer ohne Kinder auch Männer mit oder ohne Paarbeziehung beinhaltet, während Frauen, die der Gruppe ohne Kinder angehören, vorwiegend nicht in einer Paarbeziehung leben.

Abbildung 1: Familiäre Laufbahnen in der Schweiz

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Quelle: Eigene Ausarbeitung der Autorinnen basierend auf biografischen Daten des SHP 2002, 2013.
N(Männer)= 880; N(Frauen)=1005. Geburtskohorten: 1952-1993.

Die Abbildung 2 zeigt, dass die grosse Mehrheit der Männer frühzeitig in den Arbeitsmarkt eintritt und einer Vollzeitbeschäftigung nachgeht. Ihr Anteil beläuft sich in unserer Stichprobe auf 77 %. Die Männer dieser Gruppe sind selten erwerbslos und wenn überhaupt nur zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn. Die wenigsten gehen einer Teilzeitbeschäftigung nach. Der zweiten Gruppe gehören Männer an, die über den grössten Teil ihrer beruflichen Laufbahn in Teilzeit (von 50 bis 89 %) tätig waren. Die letzte Gruppe von Männern („Vollzeit nach Hochschulstudium“, 11 %) ähnelt der ersten in Bezug auf die überwiegende Vollzeittätigkeit. Diese Männer treten jedoch aufgrund der längeren Ausbildungszeit etwas später in dem Arbeitsmarkt bei. Wie in Abbildung 2 dargestellt, befinden sich 40 % im Alter von 23 und 24 Jahren noch in der Ausbildung – 95 % unter ihnen haben einen Hochschulabschluss – gegenüber den 38 % der Männer in der Gruppe, die frühzeitig in den Arbeitsmarkt eintreten, und den 46 %, die eine Teilzeitarbeit ausüben.

Die beruflichen Laufbahnen von Schweizer Frauen, die der Geburtskohorte 1952-1993 angehören, unterscheiden sich deutlich von den beruflichen Werdegängen der Männer. Fast ein Drittel dieser Frauen gehen dem Grossteil ihres Lebens keiner Erwerbstätigkeit nach. Etwa 80 % der Frauen in dieser Gruppe gehen zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn einer Vollzeit- oder Teilzeitbeschäftigung nach. Ihr Anteil liegt im Alter von 30 Jahren jedoch unter 20 % (siehe Abbildung 2). Zu den wichtigsten Merkmalen der grössten Gruppe von Frauen („Teilzeitarbeit“, 50 %) gehören der Rückzug vom Arbeitsmarkt oder eine rückläufige Erwerbstätigkeitsquote in den reproduktiven Jahren zwischen Mitte 20 und Mitte 30 sowie eine spätere Rückkehr auf den Arbeitsmarkt in Teilzeit. Die Abbildung 2 zeigt, dass in dieser Gruppe die Frauen erst wieder im Alter von 40 Jahren eine prozentuale Erwerbsquote wie im Alter von 20 Jahren erreichen – 80 % der Gruppe. 21 % der Frauen dieser Stichprobe gehören der Gruppe der Berufstätigen in Vollzeit an. In dieser Gruppe ist die Erwerbslosigkeit ein seltenes Phänomen, das vorwiegend am Anfang oder Ende der beruflichen Laufbahn auftritt.

Abbildung 2: Berufliche Laufbahnen in der Schweiz

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Quelle: Eigene Ausarbeitung der Autorinnen basierend auf biografischen Daten des SHP 2002, 2013.
N(Männer)= 880; N(Frauen)=1005. Geburtskohorten: 1952-1993.

Wohlbefinden nach familiären und beruflichen Laufbahnen

Die Abbildung 3 zeigt, wie die verschiedenen familiären und beruflichen Laufbahnen mit dem Wohlbefinden ab dem 50. Lebensjahr verknüpft sind. Unsere drei Indikatoren für das Wohlbefinden (Lebenszufriedenheit, Zufriedenheit mit den persönlichen Beziehungen und finanzielle Zufriedenheit) werden auf einer Skala von 0 bis 10 gemessen. In der Abbildung 3 wird die erwartete Lebenszufriedenheit für die verschiedenen Gruppen der familiären und beruflichen Laufbahnen dargestellt. Darüber hinaus wurden mehrere Kontrollvariablen berücksichtigt. In allen Modellen werden Alter (51-70 Jahre) und der Messungszeitraum für das Wohlbefinden kontrolliert (2014-2017 versus 2003-2006). Um zu prüfen, ob ein Zusammenhang zwischen spezifischen familiären und beruflichen Laufbahnen und dem Wohlbefinden über das Selektionsverfahren in verschiedenen Verlaufsarten hinaus besteht, kontrollieren wir Eigenschaften, die vor dem Alter, in dem die Laufbahnen beginnen (vor dem 20. Lebensjahr), gemessen werden. Hierzu gehören Geburtsland, Staatsangehörigkeit, Wohnsituation vor dem 15. Lebensjahr und Bildungsstand des Vaters.

Unsere Schätzungen können aufgrund der möglichen umgekehrten Kausalität zwischen Wohlbefinden und Lebensverläufen potenziell Verzerrungen aufweisen. So ist es denkbar, dass positive familiäre und berufliche Erfahrungen das Wohlbefinden von Personen steigern, aber auch, dass angeborene Eigenschaften dafür sorgen, dass einige Personen zufriedener sind als andere und sich dies positiv auf ihre familiäre und berufliche Laufbahn auswirkt.

Wir stellen bei Männern keinen signifikanten Zusammenhang zwischen familiären und beruflichen Laufbahnen einerseits und dem Niveau der Lebenszufriedenheit andererseits fest. Frauen, die in Vollzeit arbeiten und eine traditionelle familiäre Laufbahn aufweisen, zeigen ab dem 50. Lebensjahr eine grössere Lebenszufriedenheit auf als Frauen in allen anderen Konstellationen von Familie und Beruf, so auch jenen, deren Arbeitsleben von Unterbrechungen geprägt ist. Ihre Lebenszufriedenheit liegt auf einer Skala von 0 bis 10 ungefähr einen Punkt über der von Frauen ohne Kinder. Demgegenüber wird eine stabile berufliche Laufbahn in Vollzeit ohne Kinder mit einem geringeren Wohlbefinden als eine berufliche Laufbahn mit Kindern in Verbindung gebracht.

Hinsichtlich der Zufriedenheit mit sozialen Beziehungen werden keine nennenswerten Unterschiede zwischen den verschiedenen familiären und beruflichen Laufbahnen der Frauen festgestellt. Entgegen unserer Annahme scheinen die Frauen, die in ihren Lebensverläufen keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen sind, mit ihrem sozialen Beziehungsnetz nicht weniger zufrieden zu sein als diejenigen, die in Voll- oder Teilzeit beschäftigt waren. Die Ergebnisse der Männer, die frühzeitig eine Vollzeitbeschäftigung ausüben, weisen darauf hin, dass ein familiärer Verlauf mit Kindern mit einem höheren Wohlbefinden als ohne Kinder in Zusammenhang gebracht wird. Bei Männern mit geringer Einbindung in den Arbeitsmarkt kann eine solche Differenz nicht beobachtet werden. Dies spricht dafür, dass eine konstante Vollzeitbeschäftigung und die Gründung einer Familie die Zufriedenheit mit den sozialen Beziehungen ab dem 50. Lebensjahr erhöhen, was zum Teil jedoch darauf zurückzuführen sein dürfte, dass sich diese Gruppe von Männern auch nach dem Alter von 50 Jahren weiterhin in stabilen Beziehungen befindet.

In Abbildung 3 werden geringfügige Abweichungen bei der finanziellen Zufriedenheit von Männern ersichtlich. Männer mit dem höchsten Bildungsstand, einer beruflichen Laufbahn mit Vollzeitbeschäftigung und einem traditionellen familiären Verlauf sind zufriedener als Männer, die sich mit einem traditionellen familiären Verlauf in einem Teilzeitarbeitsverhältnis befinden. Diese Abweichungen sind statistisch jedoch nicht signifikant, da in unserer Stichprobe nicht ausreichend Männer mit einer atypischen beruflichen Laufbahn enthalten sind.

Die familiären und beruflichen Laufbahnen von Schweizer Frauen sind von Grund auf heterogener als die der Männer (vgl. Abbildungen 1 und 2 unten), was auch zu grösseren geschlechtsbezogenen Unterschieden bei der finanziellen Zufriedenheit führt. Frauen ohne Kinder und instabileren Paarbeziehungen sind unabhängig von ihrer beruflichen Laufbahn mit ihrer finanziellen Situation weniger zufrieden als Frauen mit einem traditionellen familiären Verlauf. Der Unterschied ist jedoch gering und bei Frauen mit einer beruflichen Laufbahn in Teilzeit statistisch gesehen nicht signifikant (siehe Abbildung 3). Wie zu erwarten war, ist die Differenz des Wohlbefindens unter den Frauen am grössten, die in keiner Phase erwerbstätig waren. Nicht erwerbstätige Frauen, die jedoch ein traditionelles Familienleben haben, berichten in finanzieller Hinsicht ebenso zufrieden zu sein wie diejenigen, die in Vollzeit tätig sind und in einem Doppelverdienerhaushalt leben (8 auf einer Skala von 10). Demgegenüber berichten Frauen von einem deutlich geringeren finanziellen Wohlbefinden (5 auf einer Skala von 10), die zu keinem Zeitpunkt erwerbstätig waren, keine Kinder haben und nicht in einer Paarbeziehung leben.

Schlussfolgerungen

Das Wohlbefinden von Frauen in der Schweiz hängt ab dem 50. Lebensjahr stärker als das der Männer von den familiären und beruflichen Laufbahnen und ihren jeweiligen Konstellationen ab. Während die familiären Beziehungen für das allgemeine und finanzielle langfristige Wohlbefinden von Frauen eine zentrale Rolle spielen, steht der positive Einfluss der familiären Laufbahn darüber hinaus in einem engen Zusammenhang mit der beruflichen Laufbahn. Bemerkenswert ist, dass der gängigste Lebensverlauf von Frauen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geboren wurden – Rückkehr in die Teilzeit nach der Geburt von Kindern –, nicht mit dem grössten Grad an Zufriedenheit nach dem 50. Lebensjahr einhergeht. Während eine Verringerung der Arbeitszeit zu einer kurzfristigen Steigerung des Wohlbefindens von Frauen führen kann (Gash et al., 2010), scheint eine Vollzeitbeschäftigung während des Heranwachsens der Kinder Vorteile zu bringen, die später mit einem höheren Mass an Wohlbefinden verbunden sind.

Abbildung 3: Einflussfaktoren auf die Lebenszufriedenheit nach dem 50. Lebensjahr von Männern und Frauen

Quelle: Eigene Ausarbeitung der Autorinnen basierend auf biografischen Daten des SHP 2002, 2013 und des Panel SHP (2003-2017). N(Männer)= 880; N(Frauen)=1005. Geburtskohorten: 1952-1966.

Unseren Ergebnissen zufolge sind Frauen, die nur geringfügig in den Arbeitsmarkt eingebunden sind und nicht in einer stabilen Paarbeziehung leben, langfristig dem Risiko eines geringeren finanziellen Wohlbefindens ausgesetzt. Während es schwierig ist, zwischen einem Selektionseffekt (höheres Wohlbefinden erleichtert den Erhalt eines Arbeitsplatzes und das Entstehen einer Paarbeziehung) und einem kausalen Zusammenhang (das Fehlen von beidem verringert das Wohlbefinden) zu unterscheiden, besteht zwischen diesen Aspekten eindeutig ein Zusammenhang. Andere Studien belegen ebenfalls, dass eine erwerbstätige Mutter in der Schweiz, die in einer Paarbeziehung lebt, ein höheres Niveau der Zufriedenheit aufweist im Vergleich zu Alleinstehenden (Perrig-Chiello et al., 2008). Während die Ausübung einer Erwerbstätigkeit das durch das Singledasein verursachte finanzielle Risiko verringert, kann selbst eine Vollzeitbeschäftigung die finanzielle Sicherheit einer stabilen Paarbeziehung offensichtlich nicht vollständig ausgleichen.

Zu berücksichtigen ist, dass die Kombination von traditionellen Familienlaufbahnen und Vollzeitbeschäftigung nur einen sehr geringen (6 %) und äusserst selektiven Anteil der weiblichen Stichprobe betrifft. Nur Frauen mit einem sehr hohen Bildungsniveau und einer höchstwahrscheinlich anerkannten und/oder gut bezahlten Tätigkeit verbringen den Grossteil ihrer beruflichen Laufbahn in Vollzeitbeschäftigung. Diese Gruppe dürfte auch eine höhere Lebenszufriedenheit aufweisen, da sie aufgrund ihrer besseren beruflichen Stellung die Hausarbeit und Kinderbetreuung auslagern kann. Für andere Frauen ist dies unter Umständen selbst mit einer Vollzeitstelle nicht möglich.

Unsere wichtigste Schlussfolgerung ist, dass für Frauen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geboren wurden, die Kombination der familiären und beruflichen Laufbahnen für das Wohlbefinden wichtiger ist als für Männer. Grund hierfür dürfte sein, dass die beruflichen Laufbahnen von Frauen weniger konstant sind und sie daher stärker von ihrem Partner und folglich auch von der Art ihrer familiären Laufbahnen abhängig sind.

Darüber hinaus profitieren Frauen mit stabilen Laufbahnen und einer Kombination von Beschäftigung und Familiengründung anscheinend von einem gesteigerten langfristigen Wohlbefinden. Ein Lebensverlauf, in dem es über längere Zeit an Paarbeziehungen fehlt – was im Schweizer Kontext einem nicht-normativen familiären Verlauf entspricht (siehe Levy, 2018) – kann die finanzielle Sicherheit von Frauen stärker gefährden als eine geringe Einbindung in den Arbeitsmarkt im Lebensverlauf. Der zuletzt genannte Faktor beeinträchtigt jedoch erheblich und anhaltend die Lebenszufriedenheit von Frauen. Interessant ist darüber hinaus die Feststellung, dass sich die berufliche Laufbahn weder von Männern noch von Frauen in der Schweiz anhaltend positiv auf die Zufriedenheit mit den sozialen Beziehungen nach dem 50. Lebensjahr auswirkt.

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