Bildungsmobilität von Frauen und Männern in der Schweiz

N°35, November 2023
Richard Nennstiel & Rolf Becker (Universität Bern),

November 7, 2023
How to cite this article:

Nennstiel, R. & Becker, R. (2023) Bildungsmobilität von Frauen und Männern in der Schweiz. Social Change in Switzerland, N°35. doi: 10.22019/SC-2023-0006

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Zusammenfassung

Dieser Beitrag untersucht auf der Basis von administrativen Daten die intergenerationale Bildungsmobilität von Männern und Frauen, die zwischen 1950 und 1990 in der Schweiz geboren wurden. Der Vergleich des Bildungsniveaus der Eltern und ihrer Kinder zeigt, dass Männer in den älteren Geburtskohorten bessere Mobilitätschancen hatten als Frauen. Dieser Unterschied hat sich über die Geburtskohorten hinweg verringert, so dass in der jüngsten Kohorte keine geschlechtsspezifischen Unterschiede mehr zu beobachten sind. Generell nehmen die Mobilitätschancen im Zeitverlauf ab: Weniger Menschen sind aufwärts mobil, während der Anteil der Abwärtsmobilität und der Immobilität zunimmt. Diese Entwicklung ist auf die Bildungsexpansion zurückzuführen, in deren Folge immer mehr Eltern höhere Bildungsabschlüsse erwerben und damit die Aufstiegschancen ihrer Kinder einschränken. Dennoch erreichen in der jüngsten Geburtskohorte rund 85% der Männer und Frauen mindestens das Bildungsniveau ihrer Eltern und ein Drittel sogar einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern.


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Einleitung

Wie in vielen Gesellschaften besteht auch in der Schweiz ein Zusammenhang zwischen dem Bildungserfolg und Lebenschancen (Becker und Schoch, 2018). Dies zeigt sich beispielsweise in Einkommensunterschieden nach Bildungsabschlüssen (Korber und Oesch, 2019), dem beruflichen Prestige von Berufsanfängern (Zangger et al., 2018), dem nach Bildungsabschluss differenziellen Erfolg auf dem Heiratsmarkt (Becker und Jann, 2017) oder darin, dass Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen eine höhere Lebenserwartung aufweisen (Remund und Cullati, 2022). Aufgrund dieser Bedeutsamkeit von Bildungsabschlüssen ist die Erforschung von Bildungsungleichheit zentral für die Soziologie (Solga und Becker, 2012). Stark im Fokus steht dabei die Erforschung der intergenerationalen Weitergabe von Bildungschancen – also inwiefern Eigenschaften der Eltern (Bildung, Einkommen, Beruf, Klassenlage) die Bildungsabschlüsse und Bildungschancen ihrer Kinder beeinflussen (Breen und Goldthorpe, 1997).

Ein in der internationalen Forschung stark ausgeprägter Forschungsstrang beschäftigt sich dabei mit der Bildungsmobilität über Generationen hinweg (Shavit und Blossfeld, 1993). Im Vordergrund steht hierbei der Vergleich der Bildungsabschlüsse von Eltern und ihren Kindern (Becker 2007). Ein zentrales Konzept stellt dabei die absolute Bildungsmobilität dar. Bei diesem Vergleich werden die absoluten Bildungsabschlüsse der Eltern und Kinder (welche Bildungsstufe oder wie viele Bildungsjahre) miteinander verglichen. Bei diesem Vergleich werden drei Arten der absoluten intergenerationalen Bildungsmobilität unterschieden: die Abwärtsmobilität, die Immobilität und die Aufwärtsmobilität. Von Abwärtsmobilität spricht man, wenn die Bildungsabschlüsse der Kinder niedriger sind als jene der Eltern. Also wenn beispielsweise die Eltern einen Hochschulabschluss haben und die Kinder einen Sekundarschulabschluss haben. Immobilität bedeutet, dass Eltern und Kinder einen Bildungsabschluss auf der gleichen Bildungsstufe erreicht haben, also beispielsweise Eltern und Kinder den gleichen Berufsbildungsabschluss haben. Von Aufwärtsmobilität wird gesprochen, wenn die Kinder einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern erworben haben (Becker und Hadjar, 2010: 58). Dementsprechend wären Kinder mit einem Hochschulabschluss gegenüber Eltern, die keinen Schulabschluss haben, aufwärts mobil.

Auf gesellschaftlicher Ebene wird absolute Bildungsmobilität in Verbindung zur Durchlässigkeit und Effizienz von Bildungssystemen gebracht (Hadjar und Gross, 2016). Weiterhin werden sich verschlechternde Mobilitätsmuster (z. B. eine Zunahme der Abwärtsmobilität über die Zeit) als Indikator für eine gesellschaftlich unliebsame Entwicklung angesehen (Nachtwey 2016; Nennstiel 2021). Auf familiärer Ebene zeigen viele Studien, dass Eltern das Ziel haben, dass ihre Kinder mindestens einen gleichwertigen oder höheren Bildungsabschluss als sie selbst erlangen, damit der Bildungsstatus innerhalb der Familie erhalten werden kann (Breen und Goldthorpe, 1997). Dieses Ziel kommt auch im häufig formulierten Wunsch zum Ausdruck „Meine Kinder sollen es einmal besser haben als ich“.

In der Schweiz gibt es bisher nur wenige Studien, die sich mit dem Thema der absoluten intergenerationalen Bildungsmobilität beschäftigt haben. Levy et al. (1997) konnten basierend auf Befragungsdaten (Fallzahl von 1869 Personen aus dem Jahr 1991) folgende absoluten Mobilitätsmuster nachweisen: 43 Prozent der Befragten waren aufwärts mobil, 40 Prozent waren immobil und 17 Prozent waren abwärts mobil. Bauer und Riphahn (2007) analysierten die absolute Bildungsmobilität von Jugendlichen, die noch mit ihren Eltern im gleichen Haushalt lebten, basierend auf der Schweizer Volkszählung 2000 (Fallzahl von 74’147). Sie konnten zeigen, dass bei inländischen Jugendlichen, für die Bildungsinformationen der Väter und der Kinder vorlagen, 65 Prozent immobil waren (57 Prozent gegenüber ihrer Mutter), 25 Prozent aufwärts mobil waren (36 Prozent gegenüber ihrer Mutter) und 10 Prozent abwärts mobil waren (7 Prozent gegenüber ihrer Mutter). In einer Studie basierend auf Daten der Strukturerhebung 2010-2019, die den Fokus auf die absolute Bildungsmobilität der Secondos legte, konnte Wanner (2022) zeigen, dass die Mobilitätsmuster zwischen Einheimischen und Personen mit Migrationshintergrund ähnlich sind. Unter den 25-44-jährigen ist ein Grossteil immobil, erreicht also einen gelichwertigen Bildungsabschluss wie die Eltern. Den genannten Studien ist gemeinsam, dass sie für die Schweiz einen geringen Grad an Abwärtsmobilität im Bildungsbereich ausweisen. Zudem zeigen sie eine hohe Immobilität und dass die Aufwärtsmobilität deutlich höher ist als die Abwärtsmobilität.

Die bisherige Forschung zur absoluten intergenerationalen Bildungsmobilität hat bisher kaum Unterschiede zwischen Männern und Frauen sowie Veränderungen über Geburtskohorten hinweg untersucht. In Folge der Bildungsexpansion in der Schweiz (Becker und Zangger 2013; Zangger und Becker 2016) haben sich die Bildungsabschlüsse über die Geburtskohorten kontinuierlich erhöht, und weltweit haben insbesondere die Frauen von der Bildungsexpansion profitiert (DiPrete und Buchmann, 2013). Deshalb untersuchen wir in diesem Beitrag zum einen, wie sich die Bildungsmobilität zwischen den Geschlechtern unterscheidet, und zum anderen, wie sich die Bildungsmobilität über die Geburtskohorten hinweg entwickelt hat.

Daten und Methode

Für unsere Analysen verwenden wir Daten der seit 2011 jährlich durchgeführten Strukturerhebung 2011-2020 (BFS, 2021). Dabei werden pro Jahr mindestens 200’000 Personen der ständigen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren zu Themen wie Religion, Bildung, Arbeit und Haushaltsstruktur befragt. Pro Haushalt gibt eine ausgewählte Person zusätzlich Auskunft über die anderen Haushaltsmitglieder. Ein vom Bundesamt für Statistik bereitgestellter Identifikator ermöglicht es uns, diese Daten mit STATPOP-Daten 2010-2020 (BFS, 2022), die Informationen zum Zivilstand, Geschlecht und Geburtsdatum enthalten, zu verknüpfen. Für unsere Analysen hat das BFS zusätzlich einen Identifikator für Mütter und Väter bereitgestellt, sodass es uns möglich ist, Kindern ihren Eltern zuzuordnen.

Die Verknüpfung von Eltern und Kindern in den Daten ist umso wahrscheinlicher, je jünger das Geburtsjahr der Kinder ist. Des Weiteren ist eine Verknüpfung deutlich wahrscheinlicher für Personen, die in der Schweiz geboren sind (vgl. Nennstiel und Becker, 2023; Wanner 2022). Aus diesen Gründen haben wir uns dazu entschieden, nur Personen in unserer Analysestichprobe zu belassen, die in der Schweiz ab dem Jahr 1950 geboren sind.[1] Darüber hinaus werden nur Personen berücksichtigt, die zum Zeitpunkt ihrer Befragung mindestens 30 Jahre alt waren. Mit dieser Einschränkung stellen wir sicher, dass der Erwerb des höchsten Bildungsabschlusses bereits erfolgt ist. Die Analysestichprobe besteht folglich aus Personen, die zwischen 1950 und 1990 in der Schweiz geboren wurden, die zum Interviewzeitpunkt der Strukturerhebung älter als 30 Jahre alt waren, für die Bildungsinformationen in einer der Strukturerhebungen (2011-2020) vorhanden sind, die über STATPOP mit ihren Eltern verknüpft werden konnten, und für die für mindestens ein Elternteil Informationen zum Bildungsabschluss vorliegen. Insgesamt umfasst unsere Analysestichprobe 556’112 Personen (276’001 Männer und 280’111Frauen).

Die Bildung der Kinder und ihrer Eltern orientiert sich am höchsten erworbenen Bildungsabschluss. Dabei unterscheiden wir drei Bildungsgruppen: (1) höchstens Sekundarstufe I (z. B. keine Ausbildung, obligatorische Schule [7-9 Jahre] oder Vorlehre oder anderes Brückenangebot); (2) höchstens Sekundarstufe II (z. B. Berufslehre oder allgemeinbildende Schule); (3) Tertiärstufe (z. B. höhere Fach- und Berufsausbildung, Universitätsabschluss oder Hochschulabschluss). Sind Bildungsinformationen von Mutter und Vater vorhanden, verwenden wir den höheren Bildungsabschluss.[2] Die Bildungsmobilität der Kinder messen wir, indem wir die Bildungsabschlüsse der Kinder mit denen der Eltern vergleichen. Kinder können abwärts mobil sein (Bildungsabschluss der Kinder ist niedriger als der der Eltern), immobil (Kinder weisen den gleichen Bildungsabschluss wie ihre Eltern auf) oder aufwärts mobil (Bildungsabschluss der Kinder ist höher als der der Eltern) sein. Um Veränderungen über die Geburtsjahrgänge hinweg abzubilden, haben wir jeweils fünf Geburtsjahrgänge umfassende Geburtskohorten erstellt (1951-1955, …, 1986-1990).

Ergebnisse

Da die Analyse der intergenerationalen Mobilität auf dem Vergleich der Bildungsabschlüsse von Eltern und Kindern beruht, betrachten wir zunächst die Bildungsverteilungen in der Kinder- und Elterngeneration über die Kohorten hinweg. Abbildung 1 verdeutlicht, dass sich die Bildungskomposition der Elterngeneration ebenso wie jene der Kinder – bei den Frauen und Männer – verändert hat. Immer weniger Personen haben höchstens einen Abschluss auf Niveau der Sekundarstufe I oder Sekundarstufe II und immer mehr Personen erlangen einen Abschluss auf der Tertiärstufe. Im Zuge dieser Bildungsexpansion erfolgte eine deutliche Angleichung in den höchsten Bildungsabschlüssen zwischen Männern und Frauen. Beachtlich ist hierbei das starke Aufholen der Frauen in Bezug auf Tertiärabschlüsse. In der Geburtskohorte 1951-1955 hatten 40 Prozent der Männer und 20 Prozent der Frauen einen Tertiärabschluss. In der Geburtskohorte 1986-1990 haben sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen 50 Prozent einen Tertiärabschluss. Deutlich erkennbar ist auch der starke Anstieg des Bildungsniveaus in der Elterngeneration. In der Elterngeneration der 1951-1955 geborenen Kinder weisen unter 10 Prozent einen Tertiärabschluss auf und 50 Prozent haben höchstens einen Abschluss auf Sekundarstufe I. Von den Eltern der 1986-1990 geborenen Kinder besitzen mehr als ein Drittel einen Tertiärabschluss und weniger als 10 Prozent haben höchstens einen Abschluss auf der Sekundarstufe I. Somit erfolgte bereits in der Elterngeneration der Beginn einer Bildungsexpansion, die sich in den nachfolgenden Generationen verstärkte.

Abbildung 1: Höchste Bildungsabschlüsse der Kinder (Männer und Frauen) und Eltern (Person mit höchstem Abschluss zwischen Vater und Mutter), nach Geburtskohorten

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Automatisch generierte BeschreibungDaten: STATPOP (2010-2020), kumulierte Strukturerhebungen (2011-2015 und 2016-2020), eigene Berechnungen

In einem nächsten Schritt untersuchen wir die absolute Bildungsmobilität (siehe Abbildung 2). Hier lassen sich folgende Trends ablesen.

Erstens sind immer mehr Männer und Frauen immobil und abwärts mobil, während immer weniger Personen aufwärts mobil sind. Die Aufwärtsmobilität ist für Männer von über 60 Prozent auf ein Drittel gesunken und für Frauen von knapp 50 Prozent auf ebenfalls ein Drittel gesunken. In den älteren Kohorten ist ersichtlich, dass Männer im Vergleich zu Frauen häufiger aufwärts mobil waren (64 Prozent versus 50 Prozent).

Zweitens kam es über die Geburtskohorten hinweg zu einer Angleichung in den Mobilitätsmustern zwischen den Geschlechtern. Dies zeigt sich auch bezüglich der Immobilität und der Abwärtsmobilität. In den ältesten Kohorten waren Frauen häufiger abwärts mobil oder immobil als Männer. In der jüngsten Kohorte lässt sich kaum mehr ein Unterschied in diesen Mobilitätsarten zwischen den Geschlechtern erkennen.

Drittens erreichen auch in der jüngsten Kohorte mehr als 80 Prozent mindestens einen gleich hohen Abschluss wie ihre Eltern, obwohl die Aufwärtsmobilität in der Kohortenabfolge abgenommen hat, also weniger Kinder einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern erzielen.

Abbildung 2: Mobilitätsraten in %, getrennt nach Geburtskohorten

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Daten: STATPOP (2010-2020), kumulierte Strukturerhebungen (2011-2015 und 2016-2020), eigene Berechnungen

Betrachtet man die Abbildungen 1 und 2, so stellt sich die Frage, weshalb bei einer stetigen Höherqualifizierung in der Bevölkerung intergenrationale Abwärts- und Immobilität in der Kohortenabfolge zugenommen hat. Anhand eines sogenannten Sankeyplot (Flussdiagramm [Naqvi, 2023; Jann, 2018], siehe Abbildung 3) wird deutlich, dass dies vor allem der veränderten Komposition in der Elterngeneration geschuldet ist. Je mehr Eltern einen Tertiärabschluss haben, desto weniger Kinder können aufwärts mobil sein, da diese Kinder – auch wenn sie einen Tertiärabschluss erlangen – „lediglich“ immobil gegenüber dem Bildungsabschluss ihrer Eltern sind. Neben diesem Deckeneffekt zeigt sich auch ein Bodeneffekt: Kinder aus Familien, die höchstens einen Abschluss auf Sekundarstufe I aufweisen, können definitionsgemäss nicht abwärts mobil sein. Wenn der Anteil an Kindern aus Familien mit Bildung auf Niveau der Sekundarstufe I sinkt, sind immer mehr Kinder vom Risiko betroffen, abwärts mobil zu sein. Es ist deutlich ersichtlich, wie sich über die Geburtskohorten hinweg der Anteil von Kindern aus Familien mit Bildung auf Niveau der Sekundarstufe I stark verringert und der Anteil an Kindern aus Familien mit Bildung auf Niveau der Sekundarstufe II und Tertiärstufe deutlich erhöht hat.

Abbildung 3: Sankeyplot der Bildungsmobilität nach Bildungsherkunft (Männer und Frauen gemeinsam), ausgewählte Geburtskohorten

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Legende: Sek I = Sekundarstufe I, Sek II = Sekundarstufe II, Tertiär = Tertiärstufe, Abw. = abwärts mobil, Immobil = immobil, Aufw. = aufwärts mobil. Daten: STATPOP (2010-2020), kumulierte Strukturerhebungen (2011-2015 und 2016-2020), eigene Berechnungen

Abbildung 4: Mobilitätsraten in % konditional nach elterlicher Bildung, getrennt nach Geburtskohorten

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Daten: STATPOP (2010-2020), kumulierte Strukturerhebungen (2011-2015 und 2016-2020), eigene Berechnungen

Um zu prüfen, ob lediglich die Komposition der Bildungsabschlüsse in der Elterngeneration zu den sich verschlechternden Mobilitätsmustern beigetragen hat oder ob sich die Mobilitätschancen bei gegebener elterlicher Bildung verschlechtert haben, haben wir die bedingten Mobilitätsraten berechnet. In Abbildung 4 ist jeweils konditional auf die elterliche Bildung abgetragen, wie viel Prozent der Männer und Frauen abwärts, immobil oder aufwärts mobil waren. Man vergleicht somit beispielsweise über die Kohorten hinweg, wie viel Prozent der Männer aus Familien mit einem bestimmten Abschluss auf Sekundarstufe II abwärts, immobil oder aufwärts mobil waren.

Dabei zeigt sich, dass sich die Mobilitätsraten der Männer – unabhängig davon, welcher elterliche Bildungsabschluss betrachtet wird – kaum verändert haben. Die Wahrscheinlichkeit abwärts, immobil oder aufwärts mobil zu sein, hat sich für Männer verschiedener Geburtskohorten – deren Eltern den gleichen Bildungsabschluss aufweisen – kaum geändert.

Betrachtet man Frauen, deren Eltern einen höchsten Abschluss auf Sekundarstufe II aufweisen, zeigt sich über die Kohorten hinweg, dass sich ihre Wahrscheinlichkeit, aufwärts mobil zu sein, von knapp 25 Prozent auf 40 Prozent erhöht hat. Gleichzeitig verringert sich die Wahrscheinlichkeit, immobil oder abwärts mobil zu sein. Auch in den anderen elterlichen Bildungsgruppen haben sich die absoluten Mobilitätschancen verbessert.

Erneut zeigt sich eine Angleichung der Mobilitätsmuster zwischen den Geschlechtern, so dass in der jüngsten Kohorte kaum noch Unterschiede festzustellen sind. Bei gleicher elterlicher Bildung haben Männer und Frauen dieser Geburtskohorte sehr ähnliche Wahrscheinlichkeiten, aufwärts, immobil oder abwärts mobil zu sein. In den älteren Geburtskohorten hatten Männer noch höhere Wahrscheinlichkeiten, aufwärts mobil oder zumindest immobil zu sein.

Folgendes Fazit kann gezogen werden. Die Betrachtung der Abbildungen 3 und 4 deuten darauf hin, dass sich die in Abbildung 2 dargestellte Verschlechterung der absoluten Mobilitätsmuster über die Geburtskohorten hinweg vor allem dadurch bedingt ist, dass immer mehr Eltern höhere und höchste Bildungsabschlüsse aufweisen und gleichzeitig immer weniger Eltern niedrige Bildungsabschlüsse besitzen. Die Höherqualifikation im Zuge der Bildungsexpansion hat in der Generationenabfolge zu verringerten Chancen für weitere Bildungsaufstiege geführt.

Schlussfolgerungen

Unsere Ergebnisse zeigen für die Schweiz, wie und warum sich Muster der absoluten[3] intergenerationalen Bildungsmobilität für zwischen 1950 und 1990 geborenen Frauen und Männer verändert haben. Zur Analyse dieser Prozesse verwenden wir administrative Daten des BFS, die eine sehr grosse Anzahl an Personen enthalten mit einer Analysestichprobe von 556’112 Personen. Trotzdem muss erwähnt werden, dass wir aufgrund der Beschaffenheit der Daten unsere Analysen auf Personen eingeschränkt haben, die nach 1950 in der Schweiz geboren sind.

Anknüpfend an die frühere Forschung zeigt unser Beitrag, dass das Bildungsniveau sowohl der Personen als auch deren Eltern über die Geburtsjahrgänge (1950 bis 1990) hinweg deutlich angestiegen ist (vgl. Becker und Zangger, 2013; Zangger und Becker, 2016). Mit der sukzessiven Höherqualifikation ging auch eine Angleichung zwischen den Geschlechtern einher.

In den ältesten Geburtskohorten war ersichtlich, dass Männer häufiger aufwärts mobil waren als Frauen, und Frauen häufiger abwärts mobil waren als Männer. Diese Differenzen haben sich über die Geburtskohorten hinweg angeglichen, sodass sich die Muster der absoluten Bildungsmobilität kaum noch zwischen den Geschlechtern unterscheiden. Jedoch haben sich für die nachfolgenden Generationen die Mobilitätschancen verringert. Der Anteil derjenigen, die immobil sind oder abwärts mobil sind, ist gestiegen, während der Anteil derjenigen, die aufwärts mobil sind, gesunken ist. Waren in der ältesten Kohorte bei den Männern über 60 Prozent und bei den Frauen 50 Prozent aufwärts mobil, waren es in der jüngsten Kohorte noch jeweils knapp ein Drittel. Gleichzeitig hat sich der Anteil von Männern und Frauen (8 Prozent), die abwärts mobil sind (5 bzw. 8 Prozent in der ältesten Kohorte), auf jeweils circa 15 Prozent erhöht.

Nichtsdestotrotz ist festzuhalten, dass es auch in der jüngsten Geburtskohorte knapp 85 Prozent der Männer und Frauen schaffen, einen mindestens so hohen Bildungsabschluss wie ihre Eltern zu erzielen und somit in der Generationenfolge den Bildungsstatus zumindest erhalten können. Im Einklang mit bisherigen Studien konnten wir somit die Dynamik der Bildungsexpansion nachzeichnen – nämlich, dass mehr Personen aufwärts- als abwärts mobil sind und dass ein wachsender Anteil der Bevölkerung in der historischen Zeit immobil ist (vgl. Levy et al., 1997; Bauer und Riphahn 2007; Wanner, 2022). Inwiefern die Bildungsexpansion die Bedeutsamkeit von Aufwärts- oder Abwärtsmobilität (z. B. für den Arbeitsmarkterfolg) beeinflusst hat, können wir mit unserem Beitrag nicht beantworten. Bisherige Forschung aus der Schweiz deutet jedoch darauf hin, dass es trotz Bildungsexpansion nicht zu einer Entwertung von Bildungsabschlüssen kam (vgl. Zangger et al., 2018).

Vergleicht man die absoluten Mobilitätsmuster in Abhängigkeit von der elterlichen Bildung, d. h. vergleicht man Kinder aus Elternhäusern mit demselben Bildungsabschluss über die Geburtskohorten hinweg, so zeigen sich für alle Bildungsherkunftsgruppen kaum Veränderung bei den Männern, aber bei den Frauen eine Verbesserung der absoluten Mobilitätsmuster. Bei gleicher elterlicher Bildung hat sich die Wahrscheinlichkeit, immobil oder aufwärts mobil zu sein, für die Männer über die Geburtskohorten kaum verändert. Für die Frauen hingegen hat sich über alle Bildungsherkunftsgruppen hinweg die Wahrscheinlichkeit erhöht, aufwärts mobil oder immobil zu sein, während sich die Wahrscheinlichkeit für einen intergenerationalen Bildungsabstieg verringert hat.

Die sich verringernden Chancen für weitere Bildungsaufstiege lassen sich auf die veränderte Bildungskomposition in der Elterngeneration zurückführen (für eine ähnliche Erklärung im Kontext sozialer Klassen, siehe Goldthorpe (2016)). Immer mehr Eltern erreichen höhere Bildungsabschlüsse wie etwa Tertiärabschlüsse und gleichzeitig reduziert sich der Anteil an Eltern, die höchstens einen Abschluss auf dem Niveau der Sekundarstufe I besitzen. Dies führt dazu, dass in der Kindergeneration ein immer grösserer Anteil an Personen dem Risiko ausgesetzt ist, abwärts mobil zu sein, und gleichzeitig ein immer kleinerer Anteil überhaupt aufwärts mobil sein kann, weil ihre Eltern bereits über einen Tertiärabschluss verfügen.

Insgesamt zeigt sich über die Geburtskohorten hinweg, sowohl was die Bildungsabschlüsse als auch was die intergenerationalen absoluten Mobilitätsmuster anbelangt, dass es zu einer Angleichung zwischen den Geschlechtern kam, sodass sich Männer und Frauen der jüngsten Geburtskohorte kaum noch voneinander unterscheiden. Weiterhin zeigt sich, dass es das Schweizer Bildungssystem auch in der jüngsten Geburtskohorte schafft, trotz stetiger Höherqualifikation in den Elterngenerationen einem Drittel der Kinder einen Bildungsaufstieg und jedem zweiten Kind einen Bildungsabschluss auf dem Niveau ihrer Eltern zu ermöglichen. Diejenigen, die abwärts mobil sind, stammen zum Grossteil aus Elternhäusern mit einem Tertiärabschluss. Das bedeutet, dass es das Bildungssystem schafft, die Bildungsvererbung in Akademikerfamilien ein wenig aufzubrechen, sodass auch einige Akademikerkinder mit Bildungsabstiegen konfrontiert sind. Gleichzeitig ermöglicht das Bildungssystem, über 90 Prozent derjenigen Kinder, die aus Familien mit einem Bildungsabschluss auf dem Niveau der Sekundarstufe I stammen, einen Bildungsaufstieg.

  1. Bildungsentscheidungen und Bildungsabschlüsse in der Schweiz unterscheiden sich zwischen Personen, die in oder ausserhalb der Schweiz geboren sind (vgl. Nennstiel 2022). Für eine Analyse der intergenerationalen Bildungsmobilität verschiedener Migrationsgruppen in der Schweiz, siehe Wanner (2022).
  2. Nennstiel und Becker (2023) konnten für die vorliegenden Daten aufzeigen, dass sich die Ergebnisse nicht substanziell danach unterscheiden, ob man den höchsten Abschluss der Eltern, den des Vaters oder den der Mutter verwendet. Je mehr Bildungsgruppen unterschieden werden, desto höher sind beobachtete Mobilitätsraten. Eine Verwendung von sechs Bildungsgruppen (die größtmögliche Detailtiefe in den Strukturerhebungsdaten) gegenüber drei Bildungsgruppen verändert die hier präsentierten Befunde jedoch nicht substanziell (vgl. Nennstiel und Becker 2023).
  3. Bezüglich der relativen intergenerationalen Bildungsmobilität (wie stark hängen elterliche Bildung und Bildung der Kinder zusammen) zeigt sich ein schwacher bis moderater Zusammenhang für die untersuchten Geburtskohorten, der im Zeitverlauf kaum substanziellen Veränderungen unterlag (vgl. Nennstiel und Becker, 2023).

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